Medienpädagogin Alia Pagin sagt: Ein Projekt wie Zig ist in der heutigen Zeit enorm wichtig. Es bietet eine gute Gelegenheit, Fragen der Kinder aufzugreifen, die sonst niemand anspricht.
Seit Montag lesen mehr als 3500 Viertklässler in 169 Grundschulen der Region Tageszeitung. Elf Wochen lang fördert das Projekt Zeitung in der Grundschule (Zig) unterrichtsbegleitend ihre Lesekompetenz und führt die Kinder an den bewussten Umgang mit Medien heran. Für die Medienwissenschaftlerin Alia Pagin ist der kritische Blick auf die tägliche Flut an Informationen wichtiger denn je.
Wie sinnvoll ist aus Ihrer Sicht ein Projekt wie Zig in der heutigen Zeit?
Alia Pagin: Medienbegleitung ist enorm wichtig. Von solchen Projekten können sich auch die Erwachsenen einiges abschneiden. Denn auch bei ihnen herrscht oft ein recht unbedarfter Umgang mit dem, was uns die Medien vermitteln. Dabei ist es eigentlich egal, ob wir über die Tageszeitung sprechen oder Fernsehen oder digitale Medien. Es ist wichtig, dass man ein Bewussstein dafür hat, Texte und Bilder nicht für bare Münze zu nehmen. Und dafür braucht es Medienkompetenz, die man lernen muss.
Können Sie das mal an einem Beispiel etwas verdeutlichen?
Pagin: Bei meinen Studierenden fällt mir immer auf, wie wenig ausgeprägt das Bewusssein dafür ist, dass Medieninhalte redaktionell aufbereitet werden. Sie spiegeln die Wirklichkeit draußen in der Welt nicht eins zu eins wider. Beim klassischen Journalismus etwa sitzen Menschen zusammen, die sich überlegen, welche Themen wie und wo und in welcher Ausführlichkeit platziert werden. Immerhin: Sie machen das nach handwerklichen Standards. Das fehlt im Internet aber oft komplett. Jeder kann sich dort an Diskursen beteiligen. Das kann ein Vorteil sein. Aber es birgt auch eine große Gefahr, wenn Leser nicht unterscheiden können, ob eine Information geprüft worden ist oder nicht und welche Absicht dahinter steckt. Bedenkliche Inhalte kommen daher oft über digitale Medien, weil hier ein unkontrollierter Zugang zu Kindern und Jugendlichen möglich ist. Seriöser Qualitätsjournalismus ist dagegen harmlos.
Nun werden Kinder aber auch über die Zeitung mit Themen konfrontiert, die vielleicht nicht gerade auf dem Plan von Lehrern oder Eltern stehen. Wie kann man damit umgehen?
Pagin: Seitdem ich Eltern zum Thema Medienkompetenz berate, also seit rund 15 Jahren, erlebe ich die Vorstellung, man könnte Kinder von bestimmten Inhalten fernhalten und so schützen: Kindesmissbrauch etwa oder Terroranschläge, Kriege und Katastrophen — eben Themen, bei denen man sich leicht überfordert fühlt, wenn man sie einem jungen Menschen erklären soll. Aber diese Vorstellung ist ein Trugschluss. Denn selbst wenn keine Zeitung zu Hause rumliegt, Sie keinen Fernseher haben und dem Kind keinen Zugang zum Internet oder einem Smartphone geben, selbst dann bekommt es das alles spätestens auf dem Schulhof mit. Denn dort werden Medienereignisse thematisiert. Oder achten Sie einmal darauf, in welcher Höhe am Kiosk oder im Supermarkt die Titelbilder der Zeitschriften hängen.
Das heißt, Zig bietet auch eine Gelegenheit für ein Gespräch über Inhalte, die Kinder mitbekommen, die sonst aber eher nicht angesprochen werden?
Pagin: Genau. Es ist einfach wichtig, die Fragen der Kinder zu beantworten, die dazu im Raum stehen. Ich erlebe oft, dass Eltern sagen: ?Das ist zu kompliziert.” ?Dafür bist du noch nicht alt genug.” Aber hierfür gibt es ja pädagogische Angebote: Kindernachrichtensendungen, Kinderseiten wie in Ihrer Zeitung. Also Versuche, sehr komplexe Zusammenhänge auf kindgerechte Weise zu erklären. Diese Hilfestellungen können Lehrer genauso wie Eltern nutzen. Man ist nicht allein gelassen. Das Problem ist eher, dass relativ wenige Erwachsene diese Angebote nutzen.
Wenn ich mein Kind nun gar nicht erst darauf stoßen möchte, Internet oder Smartphone zu nutzen, weil ich befürchte, dass das ausufert?
Pagin: Wenn ich Grenzen in Sachen Medienkonsum ziehen will, dann fängt das bei der heimischen Geräteausstattung an und dem, was ich vorlebe. Wenn ich ständig mit dem Smartphone rumhantiere, kann ich schlecht erwarten, dass mein Kind das nicht auch so macht. Ansonsten glaube ich, alles was mit Verboten zu tun hat, macht eine Sache noch interessanter. Dazu kommt das Zugehörigkeitsgefühl der Kinder: Wenn alle meine Freunde über einen bestimmten Film oder ein Computerspiel oder eine Webseite oder einen Kettenbrief reden, dann möchte ich zumindest sehen, worum es da geht.
Und dann lässt man es einfach schauen?
Pagin: Wichtig ist, egal um welches Medium es sich handelt, dass man das Kind dabei begleitet. Und zwar in der Form, dass man mit dem Kind darüber spricht, was ihm an bestimmten Inhalten gefällt oder was es irritiert. Wenn Kinder mit etwas nicht klarkommen, stellen sie ja auch oft Fragen. Die sollte man nicht übergehen. Und wenn man selbst fragt, bekommt man oft spannende Antworten. Denn Kindern gefallen Inhalte bisweilen aus völlig anderen Gründen als wir vermuten.
Bei Zig machen Kinder auch Übungen mit Medieninhalten. Sie selbst haben Kinder mal Fake News erstellen lassen — mit welchem Ergebnis?
Pagin: Selber machen lassen, ist das beste Heilmittel, um kritischen Umgang zu üben. Ich habe den Kindern erklärt, welche Mittel man verwendet, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und sie haben wahnsinnig schnell kapiert, worauf es ankommt: Emotionen wecken, übertreiben. In dem Moment, wo sie sowas einmal durchgespielt haben und dann beim Präsentieren die Reaktion ihrer Klassenkameraden unmittelbar erlebt haben, haben sie auch einen anderen Zugang, wenn ihnen selbst solche Versuche der Beeinflussung begegnen. Und das trägt dann sehr zu einem kritischen Blick bei, den wir alle uns bewahren sollten, wenn wir uns die Welt von Medien erklären lassen.
Zur Person
Alia Pagin unterrichtet als Lehrbeauftragte an der University of Applied Sciences in Frankfurt medienpädagogische Radioarbeit. Zu ihren Schwerpunkten gehört Medienerziehung im digitalen Zeitalter. Als Projektleiterin bei den “Digitalen Helden” (Internet: www.digitaler-notfall.de) verantwortet sie die medienpädagogische Schulung von Lehrkräften und Schulsozialarbeitern an 37 Schulen in Hessen. Pagin hat für Presse, Hörfunk und TV gearbeitet.
Neues Internetportal für Eltern und Lehrer
Zeitung in der Grundschule (Zig) ist ein kostenfreies Angebot der Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken (AIM) und des Medienunternehmens Heilbronner Stimme zur nachhaltigen Förderung der Lese- und Medienkompetenz. An der 16. Auflage nehmen rund 3500 Viertklässler aus 91 Schulen im Stadt- und Landkreis Heilbronn und in Hohenlohe teil.
Die Zeitung wird elf Wochen lang für den Unterricht bereitgestellt. Dazu erhalten die Lehrkräfte pädagogisches Begleitmaterial mit Anregungen zur Unterrichtsgestaltung. Zum Projekt gehören auch ein Redakteursbesuch im Unterricht, eine Führung durchs Stimme-Druckhaus sowie am Ende die Kinder-Pressekonferenz mit prominenten Gästen — dieses Jahr am 15. Juni mit den Moderatoren des Tigerentenclubs Johannes Zenglein und Muschda Sherzada.
Ganz neu gemacht ist der Internetauftritt des Zig-Projekts. Unter www.zig-stimme.de können sich Lehrkräfte und Eltern über alles Wichtige rund ums Projekt informieren. Auch die Bildergalerien zu den Redakteursbesuchen in den Schulklassen sind hier ganz leicht zu finden.
Von Andreas Tschürtz